Dem Volke mehr Schoten

Immer wieder habe ich mich vom Angebot der Supermärkte verführen lassen und eine vermeintliche Delikatesse gekauft: frische Zuckererbsen. Doch oh weh, die weit gereisten Schoten schmeckten labbrig und fad – nichts gegen die Gaumenfreuden meiner Erinnerung! Ein Plädoyer für deutsche Erbsen.

Wenn ich als Kind im Sommer den Garten meines Großvaters betrat, schickte er mich sogleich zum Naschen. Ich versank zwischen den Erbsenreihen und pflückte mit geübtem Auge die größten, prallsten, knackigsten, süßesten Schoten. Am besten schmeckten die eingebürgerten spanischen “Zuckererwes”, die mein Opa von einer Reise nach Valencia mitgebracht hatte und mit den heimischen Sorten kreuzte. Drei Zentimeter breite Schoten, bis zu 15 Zentimeter lang, dick und saftig. So viel ich auch im Garten aß, unser Eimer wurde dennoch voll. Die Erbsenpflanzen versorgten den Haushalt das ganze Jahr hindurch: für mehrere Wochen mit Frischgemüse, später als Tiefkühlware und im nächsten Frühling als Saatgut.

Mit dem Tod meines Großvaters sind die Zuckererbsen nahezu von meinem Speiseplan verschwunden. Denn ihr Verzehr hat sich vom freudigen Alltag zum teuren und ökologisch inkorrekten Luxus gewandelt. Am häufigsten finden sich die Schoten noch als homöopathische Beigabe gefrorener Gemüsemischungen. Feinere Gemüseläden und Märkte bieten schließlich jene Plastik-Päckchen an: 200 Gramm nitratgrüne Hungerschoten, höchstens fingerlang, mit kaum ausgebildeten Erbsen. Die meisten fliegen aus Kenia und Guatemala ein, andere aus China, Simbabwe, Ägypten oder Peru. Da erscheint der Verbraucherpreis von rund zehn Euro pro Kilo sogar günstig, wenn auch nicht für den täglichen Verzehr.

 

Tausende von Jahren ist es her, da waren Erbsen neben Linsen und Getreide das Grundnahrungsmittel der Menschen in Mitteleuropa. Archäologen fanden bei Ausgrabungen in ganz Deutschland Reste der Erbse Pisum sativum, die aus der Jungsteinzeit datieren. Freilich ernteten unsere Vorfahren keine Zuckerschoten, sondern lagerfähige Trockenerbsen, die wir heute noch am ehesten aus der Erbsensuppe kennen. Die Menschen verarbeiteten die Erbsen zu Mehl oder aßen sie als Mus. Vermutlich ist die Gattung Pisum aus dem Vorderen Orient nach Westen gekommen. Die Welternährungsorganisation FAO nennt Äthiopien, Südasien und den Mittelmeerraum als weitere mögliche Domestikationszentren.

Die Herkunft der Zuckerschote liegt noch weiter im Dunkeln. Zusammen mit den zarten frischen Markerbsen erobern sie Europa erst ab dem 16. Jahrhundert und bleiben lange ein Privileg der Reichen und Adligen. Auch der Name Kaiserschote deutet in diese Richtung. Als einer der Ersten soll 1660 Ludwig XIV. grüne Erbsen verspeist haben. Nicht von ungefähr fordert Heinrich Heine in seinem Wintermärchen die Revolution: “Zuckererbsen für jedermann, sobald die Schoten platzen!”

Bis heute hat sich Heines Wunsch für Deutschland nicht erfüllt. Immerhin wuchsen 2020 auf mehr als vier Prozent aller Gemüse-Anbauflächen Frischerbsen. Allerdings wird nur gut ein Zehntel der deutschen Erbsen “mit Hülse” geerntet. Im Jahr 2019 sollen es 4300 Tonnen gewesen sein, das entspricht statistisch 52 Gramm pro Einwohner*in. Im Vergleich: Vom klassischen Dosenpartner Karotten produzierten Deutschlands Gemüsebauern 9,5 Kilogramm pro Kopf! Geringe Hektar-Erträge, hohe Bodenansprüche und vor allem die Arbeitsintensität machen den Anbau von Frischerbsen unattraktiv. Sowohl Markerbsen als auch Zuckerschoten können praktisch nur von Hand geerntet werden.

Und so bringen uns die Obst- und Gemüse-Importeure die süßen Schoten aus Ländern, in denen Arbeitskräfte wenig kosten. Die Importeure suchen Vertragsflächen und Arbeiter, errichten Bewässerungs- und Verpackungsanlagen. Internationale LifeScience-Konzerne liefern Saatgut und Pflanzenschutz-Mittel, Schulungen der Arbeiter verkaufen sie nachher als gesellschaftliches Engagement. Den Geschmackstest haben die Herren Importeure und Agronomen wohl kaum gemacht. Sonst hätten sie bemerkt, dass die kenianische Schote der europäischen Gartenerbse nicht das Wasser reichen kann.

 

Ich muss also weiterhin selbst Hand anlegen, im April meine Erbsen zwischen die Blumenbeete streuen. Ich werde bangen, dass die Amseln nicht die Kostbarkeit entdecken. Und ich werde hoffen, dass sich der deutsche Gemüsebau und Handel ein Herz fassen und bald heimische Zuckerschoten in die Läden bringen.

(Der Beitrag erschien zuerst im Januar 2011 im Querbeet-Blog von Anne Holl, Journalistin für Agrarkultur, die Statistiken wurden aktualisiert.)

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